Grußwort Advent 2025
Liebe Schwestern und Brüder!
Im Fach Deutsch habe ich immer die Lehrer geliebt, die sich die Zeit dazu nahmen, den jeweils besten Aufsatz der Klassenarbeit komplett vorlesen zu lassen. Für mich grenzte es an Zauberei, wenn die jeweilige literarische Erörterung, oder Gedichtinterpretation bzw. ein freier Aufsatz o.ä. – durch den persönlichen Kaffeefilter einer Mitschülerin / eines Mitschülers – zu Gehör gebracht wurde. Es war einfach spannend, wer auf welche Weise dieselbe Thematik anging. –
Zwischen der Piazza Navona und dem Pantheon liegt die römische Nationalkirche der Franzosen: San Luigi dei Francesi. Sie ist insgesamt einen Abstecher wert.
In ihr gibt es eine Kapelle, die ziemlich im Dunkeln liegt. Wenn man sie sehen will, dann muss man mit einem Geldstück zuerst Licht machen. Diese Investition lohnt sich! (Was nichts kostet, ist auch nichts!) In diesem Raum, der Capella Contarelli, sind drei berühmte Bilder zu sehen, die zusammengehören. Sie stammen von Caravaggio. Auf ihnen ist das Leben des Hl. Evangelisten Matthäus zu bewundern. Das erste Gemälde beschäftigt sich mit seiner Berufung. Das zweite Bild zeigt ihn schreibend. Und das dritte Elaborat setzt sein Martyrium in Szene.
Liebe Christen!
Mit dem ersten Adventssonntag beginnt ein neues Kirchenjahr (2025/2026) mit dem Lesejahr für die Sonntage A/I. Die Perikopen für die Sonntagsevangelien werden dabei dem Matthäus-Evangelium entnommen. Wenn Sie so wollen: Ein Matthäus-Jahr hat begonnen. Durch den „Kaffeefilter seiner Eigenheit“ werden wir auf den Herrn blicken. „Jede Schrift ist (…) von Gott eingegeben.“ (2 Tim 3, 16) Und doch ist der Mensch echter und verantwortlicher Verfasser der biblischen Texte.
Die Bibel, die das eingegebene / inspirierte Wort Gottes enthält, schließt menschliche Mitwirkung nicht nur nicht aus – ganz im Gegenteil: Ohne das menschliche Mittun gäbe es keine Bibel. Ohne den Kaffeefilter gibt es kein Gebräu!
Der Charakter des Hl. Matthäus, sein Glaube, seine Art zu schreiben ist das Medium, dem Gott sein Wort zuspricht und anvertraut. Und für uns Menschen ist es ja immer auch so: Gerade die Brechung durch die Brille einer anderen Person macht eine Erklärung erst richtig griffig. Früher waren sogenannte Evangelienharmonien (z.B. als christliches Hausbuch) populär. Diese Harmonien fassten die drei Synoptiker (Mt, Mk, Lk) und das Johannesevangelium zusammen. Es wurde einfach ein Erzählstrang gebildet. Heute taugen diese Bücher nur noch für das Antiquariat und wir dürfen mit dem Brustton der Überzeugung sagen: Die „Kaffeefilter“ bzw. die Brechungen, die individuelle Färbung, die von den verschiedenen Evangelisten herkommt, ist schlechterdings: gottgewollt!
Und die gute Eingebung / Inspiration soll sich in uns fortsetzen: Ich soll nach meinem Kaffeesatz, meiner Brechung, meiner Färbung geradezu suchen. Jeder von uns sieht die Bilder der Gesätze des Rosenkranzes auf seine Art – mit seinen Bildern. Das sind ja z.B. vielfach Szenen aus den Evangelien. Die geistliche Kunst besteht in dem individuellen Kolorieren dieser Szenen. –
Wir wollen uns dasselbe für das beginnende Matthäus-Jahr vornehmen. Möge die Fürbitte des Hl. Evangelisten uns beflügeln, möglichst eigentümliche Färbungen zu finden. Denn in uns und an uns setzt sich Gottes Eingebung fort.
Und wenn einmal der Himmlische Richter mit allen (!) Klassenarbeitsheften kommt:
Vielleicht haben ja Sie die beste Arbeit? Das prägnantest-individuellste Bild des Herrn.
Mit den besten Wünschen für den Advent und das neue Kirchenjahr!
Immer Ihr
Pfr. Peter Schwan, Kooperator




