Grußwort zu Pfingsten 2025
In Zeiten der Flut: Orientierung suchen zwischen
Papstwahl und Pfingststurm
Liebe Gemeinde,
die Welt scheint zu taumeln. Kaum ein Tag vergeht, an dem uns nicht Nachrichten von Krisen erreichen, deren Vielschichtigkeit uns zu überwältigen droht. Weltpolitische Verwerfungen, wirtschaftliche Unsicherheit, das schmerzliche Aufreißen gesellschaftlicher Gräben, das Ringen um Wahrheit im Lärm widersprüchlicher Deutungen – all das erzeugt ein Gefühl des Eingeschlossenseins, des ‚Versinkens‘ in einer Flut unbeherrschbarer Ereignisse. Hinzu kommt die spürbare Wirklichkeit des Klimawandels, eine Daseins-Bedrohung, die nicht nur ferne Regionen, sondern unsere unmittelbare Lebenswelt erfasst und uns mit der eigenen Mitverantwortung konfrontiert.
Inmitten dieser vielfältigen Herausforderungen wächst in vielen Menschen eine tiefe, fast uralte Sehnsucht: die Sehnsucht nach Orientierung. Nach einem Anker in stürmischer See, nach einem Kompass in unwegsamem Gelände. Diese Suche nach Sinn und Richtung zeigt sich auf vielfältige Weise, staatlich, gesellschaftlich – und manchmal überraschend sinnbildlich.
So geschehen, wenn über dem Vatikan weißer Rauch aufsteigt. Diese ehrwürdige Tradition, alt und doch von allgemeingültiger Strahlkraft, unterbricht den Krisenlärm der Gegenwart. Es ist weit mehr als ein nüchterner Ablauf; es ist ein Zeichen, das eine tiefe menschliche Hoffnung berührt: die Hoffnung auf Führung. Die Erwartung eines Menschen, der fähig ist, Brücken zu bauen, Gräben zu überwinden, Trost zu spenden und vor allem: Orientierung zu geben. Wenn der Ruf „Habemus Papam!“ erschallt, schwingt in dieser alten festen Wendung die zeitlose Sehnsucht nach einem sittlichen Kompass mit, nach einer Stelle, die Weisheit und Leitung verspricht, abseits der kurzfristigen Rechenverfahren und Weltanschauungen. Das Konklave, abgeschirmt von der weltweiten Hektik, verdichtet die gemeinsame menschliche Hoffnung auf eine göttliche Eingebung, die über bloße Verwaltung hinausgeht.
Kaum ist die Aufregung um die Papstwahl verklungen, richtet sich der Blick auf das Pfingstfest. Dieses Ereignis, oft als belanglose historische Begebenheit abgetan, trägt eine Zusage in sich, die bis heute wichtig ist: die Zusage einer göttlichen Kraft, die verwandelt. Es war und ist ein „Sturm“, der Menschen aus der Lähmung der Hoffnungslosigkeit reißen kann, der Mauern der Verständigungslosigkeit einreißt und die Einheit jenseits aller Spaltungen ermöglicht.
Ist es nur ein zeitlicher Zufall, dass die Suche nach menschlicher Orientierung bei der Papstwahl und die Zusage göttlicher Befähigung an Pfingsten diesmal so nahe beieinanderliegen? Vielleicht liegt darin eine tiefere Botschaft: dass wahrhafte Orientierung und die Überwindung von Krisen sowohl menschliches Ringen um Weisheit und Führung als auch eine übernatürliche, belebende Kraft erfordern. Kirche, wenn sie sich vom Heiligen Geist leiten lässt, kann dann in der Tat mehr sein als Gefüge; sie kann ein Ort der Heilung, der Versöhnung und der Ermächtigung sein.
Natürlich sind weltweite Probleme nicht durch das Nachdenken über Glaubensfragen allein zu lösen; sie erfordern vielschichtiges staatliches, wirtschaftliches und gesellschaftliches Handeln. Doch die tiefe menschliche Suche nach einem sittlichen Anker, die sich im Brauch der Papstwahl verdichtet, weist auf die grundlegende Notwendigkeit sittlicher Leitlinien hin, gerade wenn wir uns in den Zwickmühlen der Gegenwart verlieren.
Und Pfingsten? Dieses Fest ist keine bloße Überlieferung, sondern eine tiefgreifende Herausforderung. Der Heilige Geist ist kein laues Lüftchen der Behaglichkeit, sondern ein schöpferischer, oft unbequemer Sturm, ein Feuer, das entzündet. Angesichts menschlicher Notlagen und der Zerreißproben unserer Gesellschaft will er uns wachrütteln, uns aus unserer Trägheit reißen. Er schenkt die innere Stärke, die notwendige Widerstandsfähigkeit und den Mut, uns aktiv und selbst gegen Widerstände für Frieden, soziale Gerechtigkeit und den Schutz unserer zerbrechlichen Erde einzusetzen.
Pfingsten ist letztlich ein Aufruf zur Mündigkeit und zum Einsatz. Es ruft uns auf, unsere Stimme für Tatsachen, für Wahrhaftigkeit und für die unantastbare Würde jedes Menschen zu erheben. Während wir zu Recht auf Hoffnungsträger blicken – Volksvertreter, Wissenschaftler, auch Kirchenführer, die Brücken bauen, Ungleichheiten erkennen und Zusammenhalt verkörpern –, erinnert uns Pfingsten an eine Kraft, die größer ist als jede einzelne Person oder Einrichtung: den Heiligen Geist, der belebt, der verbindet und der unaufhörlich zum Handeln drängt. Es ist die Zusage, dass wir in den Stürmen der Zeit nicht allein sind, sondern eine Kraft in uns tragen können, die uns befähigt, nicht zu versinken, sondern – getragen und angetrieben – mitzugestalten.
Es grüßt sie herzlich,
Ihr Pastor