Grußwort zum Mai
Seit Monaten schauen die Augen nicht nur der deutschen Katholiken auf das Erzbistum Köln. Dort sorgt die Aufarbeitung sexualisierter Gewalt für heftige Diskussionen. Ein Gutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl über den Umgang mit Missbrauchsfällen wurde aufgrund „methodischer Mängel“ nicht veröffentlicht. Den Spekulationen, was nun da nicht ans Tageslicht kommen sollte, sind seither Tür und Tor geöffnet. Außerdem sollte Kardinal Rainer Maria Woelki in Vertuschung von Missbrauch selbst verstrickt sein. Das neue Gutachten, das erstellt und am 18.03.21 veröffentlicht wurde, spricht zwar den Kardinal frei, aber der Hamburger Erzbischof, zwei Weihbischöfe und der Chef des Kirchengerichts in Köln mussten bereits wegen darin nachgewiesenem Fehlverhalten ihren Hut nehmen. So wird die katholische Kirche gerade wegen Vertuschung aber auch wegen der Stellung der Frau und des Zölibats mehr und mehr vielen Gläubigen fremd und viele stellen sich die Frage, was die Kirche heute überhaupt noch der Gesellschaft bieten kann. Die Folge ist, dass die Kirchenaustritte rasant angestiegen sind, und das nicht nur in Köln, wo beim dortigen Amtsgericht auf Monate hin keine Termine für einen Austritt zu haben sind. Daneben ist zu beobachten, dass in allen westlichen Industrieländern die Zahl derer steigt, die der Kirche den Rücken zuwenden.
Wenn auch mit Sicherheit in der Kirche einiges im Argen liegt, gibt es gute Gründe, die dafürsprechen, diese Gemeinschaft nicht zu verlassen. Dabei weise ich auf ihre wichtige soziale Funktion hin. In unserer Gesellschaft, in der es vielen nur noch um das Materielle geht, ist sie sinnstiftender Gegenpol. Ein weiterer zentraler Wesenszug der Kirche, die sich mittlerweile über das ganze Erdenrund erstreckt, 1,2 Milliarden Mietglieder zählt und weltweit am Wachsen ist, ist, dass sie menschenfreundlich und antirassistisch ist. Damit ist sie etwas Einzigartiges in der Welt, weil jeder Mensch ihr willkommen ist und in ihr Platz finden kann. Unermüdlich spricht sich davon, dass jedes Leben zählt und keiner Sklave sein darf. Gerade wir Deutschen müssten uns wegen unserer unheilvollen Geschichte in besonderer Weise angesprochen fühlen. Als die Mehrheit unser Landsleute es 1940 zuließ, dass die Nationalsozialisten menschenverachtende Politik betrieben, meldete sich Albert Einstein im „Time Magzine“ zu Wort: „Nur die katholische Kirche protestierte gegen den Angriff Hitlers auf die Freiheit und Menschenrechte. Ich hatte nie ein besonderes Interesse an der Kirche, jetzt aber fühle ich eine große Liebe und Bewunderung für sie.“ Die auf Besitz und Gewinn bedachte Einstellung dem Leben gegenüber und Geschichtsvergessenheit sind die Hauptursache der Kirchenaustritte. Die Unterdrückten und Ausgebeuteten vergangener Jahrhunderte, sind die Klügeren von heute. In ihren Ländern wächst und gedeiht die Kirche. Mit Überheblichkeit auf sie zu blicken, wie es häufig geschah, entbehrt jeder Grundlage. Von der Klugheit und Herzensgüte eines Albert Einstein sind die Ausgetretenen der Industriesaaten weit entfernt. Vieles spricht auch in unseren Tagen dafür, Glied der Kirche zu bleiben und die Liebe zu ihr mit den vielen anderen Katholiken weltweit zu teilen.
Herzliche Grüße
Ihr Pastor Dr. Hanno Schmitt